Offen für die ganze Stadt: „Alltag gehört in die Kirche!“

Stadtkirchen spielen aktive Rolle in der Stadtgesellschaft und bei der Entwicklung der City
Heike Proske ist seit 2018 Superintendentin der evangelischen Kirche in Dortmund. Für sie nehmen alle vier denkmalgeschützten Stadtkirchen als Landmarken eine besonders inklusive Rolle im Leben der Stadtgesellschaft ein. © Stephan Schütze
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Nach rund 15-monatiger Sanierung hat die Petrikirche Ende August wieder ihre Pforten zum Westenhellweg geöffnet – und diese Geste ist Programm. Denn die drei Standorte innerhalb des Wallrings, St. Reinoldi, St. Marien und St. Petri, bezeichnet die Evangelische Kirche von Westfalen als sogenannte Stadtkirchen. Als solche sind die Häuser offen für die Stadtgesellschaft, laden alle Menschen ein, sind Veranstaltungsräume und Gottesdienstorte in einem. Im Gespräch mit „aufbruch city“ schildert Superintendentin Heike Proske (Bild oben) ihre Sicht auf die Rolle der Kirchen in der City.

Die grundlegende Frage, ob die Kirchen einen aktiven Part in der Cityentwicklung spielen sollten, stellt sich für die Leiterin des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund gar nicht erst. „Unsere alten, denkmalgeschützten Gebäude direkt am Hellweg sind unübersehbare Landmarken“, sagt sie. „Damit geht natürlich auch eine Verantwortung für die Stadt einher.“ Deshalb ist der Evangelische Kirchenkreis Dortmund auch regelmäßig in der City-Runde des Oberbürgermeisters vertreten, die zahlreiche Akteur*innen an einen Tisch bringt.

Als Heike Proske 2018 die Superintendentur übernahm, war sie 17 Jahre lang nicht in Dortmund tätig gewesen. Als sie 2001 die Stadt für berufliche Stationen von Bremen bis Togo verließ, lief auf dem heutigen Gelände des Phoenix-Sees noch ein Stahlwerk und auf der Kampstraße fuhren die Straßenbahnen. Das Dortmund, in das sie zurückkehrte, hatte sich verändert. Doch es liegt ihr unverändert am Herzen. „Dortmund, ich will nur dich!“, können Besucher*innen auf einem Schriftzug an der Wand ihres Büros an der Jägerstraße lesen. Gleich daneben hängt ein Bild der Stadtsilhouette, geprägt nicht zuletzt durch die Türme der Kirchen. Jede der drei evangelischen Stadtkirchen, so beschreibt es Proske, bilde gerade ein eigenes Profil. Die drei stehen in der Innenstadt allerdings nicht allein, wie die Superintendentin betont: „Es ist eher ein Viereck“, sagt sie, und verweist auf die katholische Propsteikirche als vierten Eckpfeiler. Mit Propst Andreas Coersmeier gebe es einen sehr guten Austausch zur Stadtkirchenarbeit.

 
Hybride Formate

Für die drei evangelischen Innstadtkirchen sieht Superintendentin Heike Proske klare Profile entstehen, die über Gottesdienste und Gemeindeleben hinausweisen. St. Petri etwa gehe mit variabler Bestuhlung, neuem Lichtkonzept und zusätzlichen Möglichkeiten für Ausstellungen gestärkt als Ort von kulturellen Veranstaltungen, Bildung und experimentelleren Formaten aus der Sanierung hervor. St. Reinoldi sei mit seinen beiden großen Orgeln zum einen klarer kirchenmusikalischer Schwerpunkt. Zum anderen gebe es viele hybride Formate, die kirchliche und liturgische Elemente etwa mit Ballett, Theater oder Kinofilmen kombinieren. Außerdem sieht Proske in der Reinoldikirche den Ort für Stadtöffentlichkeit, für Diskussion und das Ringen um das Miteinander. Auch die letzte im Bunde, St. Marien, öffne sich mit ihren Angeboten des gemeindlichen Lebens trotz ihrer stärkeren Fokussierung auf die Gemeinde jetzt verstärkt in den Stadtraum, freut sich Proske. Immer häufiger sei etwa der Hinweis auf die geöffnete Kirche gut sichtbar auf dem Ostenhellweg platziert.

Alle Stadtkirchen folgen dabei laut Proske einem wichtigen Grundgedanken: „Wir wollen das tun, wofür wir als Kirche da sind: für die Menschen ansprechbar sein.“ Deshalb konnte man Proske selbst etwa im Sommer häufiger im Paradiesgarten an der Reinoldikirche treffen. Dieser war ursprünglich konzipiert als einmaliges „Stadtparadies“ zum Evangelischen Kirchentag 2019, gemeinsam gestaltet von Technischer Universität und Reinoldikirche. Doch nach mittlerweile drei Neuauflagen auf Initiative des Grünflächenamts ist die grüne Oase fester Bestandteil des City-Sommers. Auch dieses Jahr war der Paradiesgarten unter dem Motto „Sinnesgarten“ von Juni bis September geöffnet.

Und Heike Proske? Segnete. Freitagmittags, und zwar alle, die das wollten. „Ich bin komplett erstaunt, wie das angenommen wird“, berichtet sie mit strahlenden Augen. „Da kommen Menschen vorbei, die sonst nichts mit Kirche am Hut haben, und fragen – fast schon ungläubig: ‚Würden Sie mich jetzt wirklich einfach so segnen?‘“ Proske genießt diese Momente sichtlich und ist ein großer Fan von spontanen Gesprächen. Einander zu begegnen und Trost und Segen zu spenden, ohne zu missionieren oder um Mitglieder zu werben, das ist ihr wichtig. Möglichkeiten dazu wünscht sich Proske mehr. Einfach mal einen Tisch und ein paar Stühle oder vielleicht ein Sofa würde sie gern vor die Reinoldikirche stellen, auf diese Weise zur Begegnung einladen. „Wir müssen auf die Menschen zugehen als Kirche“, sagt sie. „Jesus hat sich ja auch nicht irgendwo reingesetzt, sondern er ist durch die Lande gezogen. Wenn wir rausgehen, kommen die Leute auch rein.“ Am liebsten will sie einen roten Teppich ausrollen. Nutzen muss sie für solche Aktionen allerdings den öffentlichen Raum im städtischen Besitz, denn das Kirchengrundstück reicht stellenweise nur wenige Zentimeter über die Kirchenmauern hinaus. Hier setzt Proske auch künftig auf engen Austausch und die Kooperation mit der Stadt.

 

Gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit städtischen und anderen Akteur*innen hat der Evangelische Kirchenkreis reichlich. Immer wieder gibt es in den Kirchenhäusern gemeinsame Veranstaltungen mit dem Konzerthaus, mit der Oper und dem Ballett; es gibt Kino in der Kirche, Tango in der Kirche und Kinderuni in der Kirche, oder Ausstellungen wie etwa zur Aktion „KUNSTStein“ und vieles, vieles mehr. Auch Haltung zeigt die Kirche regelmäßig in der City-Öffentlichkeit: in Andachten bei den Fridays-for-Future-Demos, bei Aktionen gegen Rechts und bei Friedensgebeten. Erarbeitet wird gerade ein Konzept, um das facettenreiche Programm aller Stadtkirchen gebündelt darzustellen. Auch wo die Verwaltung über die Gestaltung der Plätze um die Kirchen herum nachdenkt – ob temporär mit mobilem Grün oder langfristig im Zuge der Entwicklung anderer Immobilien –, ist Heike Proske ganz Ohr. „Wir müssen uns gegenseitig begleiten“, ist sie sicher. Das sieht auch Susanne Linnebach so, die als Leiterin des Amts für Stadterneuerung die Cityentwicklung koordiniert: „Die Kirchen der City sind vieles zugleich: unschätzbare Zeugnisse der Stadtgeschichte und imposante Landmarken, unverkennbare Identifikationsorte und lebendige Institutionen.

Im Spannungsfeld zwischen gestern und morgen stellen sie sich gerade neu auf, so wie wir unsere Innenstadt für die Zukunft stärken. Als engagierte, langfristig planende Akteure mit großem Gemeinsinn sind die Kirchen für uns wichtige Partner im Prozess der Cityentwicklung.“

Kälteräume für Fußballfans

Dort, wo der Kirchenkreis selbst aktiv werden kann, will Heike Proske Initiative zeigen. So kann die Superintendentin sich vorstellen, perspektivisch auch die nördlichen Türen der Reinoldikirche zur Kampstraße regelmäßig zu öffnen – um mehr Durchlässigkeit zum Hellweg zu schaffen, die Rückseiten-Anmutung auf der Nordseite zu beenden. Kürzlich rief das Orga-Team der Stadtverwaltung für die UEFA EURO 2024 an: Ob die Stadtkirchen bei der EM im kommenden ommer wohl als Kälteräume geöffnet werden könnten? Aber klar, findet Proske – sofern dadurch keine zusätzlichen Lasten auf den Rücken der engagierten Ehrenamtlichen landen. Schon zum Heimspiel-Saisonfinale der Bundesliga im Mai waren die Stadtkirchen als Hitzeschutzräume länger geöffnet, damals auf Eigeninitiative des Kirchenkreises. „Natürlich kann eine Kirche auch ein Ort zum Feiern und Lachen oder Essen sein“, erklärt Proske.

„Alltag gehört in die Kirche!“ Dieses zentrale Anliegen verfolge sie gemeinsam mit den Stadtkirchenpfarrer*innen Christel Schürmann, Michael Küstermann und Susanne Karmeier. Interessanterweise hätten gerade kirchenfernere Menschen oft Berührungsängste damit, wenn Kirchengebäude nicht-kirchlich bespielt würden, berichtet Heike Proske. So etwas gehöre sich doch eigentlich nicht in einem Gotteshaus,hört sie dann. Doch sie widerspricht: „Es gibt nicht die ‚eigentliche Kirche‘ von früher und ein paar neumodische Ergänzungen. Es ist die ‚eigentliche Kirche‘ selbst, die heute anders ist und anders sein muss als früher.“ Traditionelle Sonntagsgottesdienste gehören für sie genauso dazu wie die „Viertelsternstunden“, die in der Adventszeit jeden Tag ab 18 Uhr eine 15-minütige Auszeit vom Trubel des Weihnachtsmarkts versprechen. Oder eben die verstärkte Nutzung als Veranstaltungsort, an dem Menschen zusammenkommen und feiern. „Genau diese Weltoffenheit“, findet Proske, „gehört für mich in die Innenstadtkirchen.“

@ Stephan Schütze
© Stephan Schütze
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