Wer an den Wochenenden durch die City schlendert, bewegt sich in einem Menschenstrom – fast so, als hätte es die Corona-Einschränkungen nie gegeben. Trotzdem scheinen die goldenen Zeiten für den Handel vorbei. Denn nicht nur die Pandemie, sondern auch der wachsende Onlinehandel hat Spuren in der Einzelhandelslandschaft hinterlassen. Viele Dortmunder*innen fürchten, dass Geschäfte lange leer stehen könnten und weniger Besucher*innen kommen. Heike Marzen, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Dortmund, war viele Jahre verantwortliche Center-Managerin der Dortmunder THIER-Galerie und kennt die Handelsentwicklungen genau. Sie blickt mit „aufbruch city“ auf die Herausforderungen und Chancen für die Innenstadt.
Corona ist eine Zäsur, die unsere Gesellschaft, unseren Konsum und das Leben unserer Innenstadt verändert hat. Ist den Besucher*innen das Einkaufen in der City vergangen?
Zum Glück sieht das aktuell nicht so aus. Nehmen wir einmal die Zahlen der Frequenz-Zählanlage der Passantenströme auf dem Westenhellweg. Hier haben wir im Vergleich zum Jahr 2019 – also vor der Pandemie – in diesem Jahr bis Ende Juli eine um rund 17 Prozent höhere Frequenz. Viele Menschen haben einen Nachholbedarf, treffen sich wieder gerne in der Stadt, bummeln und verweilen. Allerdings hat die Häufigkeit der regelmäßigen Besuche abgenommen. Das müssen wir wieder umdrehen und die Besucher*innen zu gerne zurückkommenden „Wiederholungstäter*innen“ machen. Und dafür müssen wir uns auch ein Stück neu erfinden. Es wäre wirklich – gerade für den Handel – sehr dramatisch, wenn die Besucher*innen aufgrund der hohen Energiekosten und der damit zusammenhängenden Inflation lieber zu Hause bleiben.
Die Leerstände in der City machen vielen Dortmunder*innen Sorgen. Sind diese Schließungen auf die Pandemie zurückzuführen?
Unser Filialisierungsgrad (also die Zahl der Filialen, die zu großen Ketten gehören, im Verhältnis zu eigenständigen Einzelhandelsgeschäften, Anm. d. Red.) ist wie in allen Großstädten recht hoch. Und in der Tat kehren viele Filialisten nicht nur in Dortmund, sondern deutschlandweit den Fußgängerzonen den Rücken – siehe Conrad Elektronik, Esprit, Kaufhof, Roland Schuhe oder Sizeer. Deren Geschäftsmodell konzentriert sich nun stärker oder komplett auf den Onlinehandel. Dies hat aber nichts mit Corona zu tun, sondern mit unserem veränderten Konsumverhalten.
Geht es den individuellen Einzelhandelsgeschäften also besser?
Wir haben immer noch sehr viele qualifizierte Facheinzelhändler*innen mit individuellem Angebot und hoher Produkt- und Beratungsqualität. Beste Beispiele sind das Weinhaus Hilgering, das Reformhaus Kimm, der Juwelier Tewes, Henriettes Küchenladen, Freund + Bauer, Hausfelder, Betten Hutt und viele mehr. Sie sind etabliert und im Angebotsmix mit ihren Sortimenten das Salz in der Suppe. Trotz erheblicher Einbußen sind alle nach wie vor in der City vertreten – durch große Kraftanstrengungen und auch durch gute Ideen.
Befürchten Sie weitere Leerstände?
Die vorhin genannten Leerstände, die Filialisten zurücklassen, beschäftigen uns zurzeit am stärksten, weil sie als Großflächen unschöne Lücken an markanten Punkten hinterlassen. Insgesamt ist unsere Leerstandsquote aber deutlich geringer, als viele meinen. Der Vermietungsmarkt ist nicht eingebrochen und in den Toplagen werden noch gute Mieten erzielt. Gut ist auch: Alle Eigentümer*innen der leerstehenden Großimmobilien stehen zum Standort Dortmund und wollen in eine langfristige und nachhaltige Belegung investieren. Darum werden wir von anderen Städten beneidet.
Schauen wir auf den oberen Westenhellweg und den Ostenhellweg: Befürchten Sie ein „Ausfransen“ der Ränder?
Insbesondere der obere Westenhellweg war von jeher schwieriger und schon immer schwächer frequentiert als der Bereich in Höhe Peek & Cloppenburg. Das wurde durch die THIER-Galerie schon weitaus besser Brach die Frequenz vorher auf Höhe des Kaufhofs ein, zieht es sich nun ein Stück weiter gen Westen. Dort finden sich viele traditionelle Einzelhändler*innen. Der Ostenhellweg war und ist bis heute „konsumiger“ aufgestellt. Die Frequenz ist trotzdem höher als in zentralen Straßen anderer Citys. Dennoch: Gerade in den Randbereichen müssen wir die Nutzungen der Gebäude neu denken. Oft stehen hier die Obergeschosse leer. Eine neue Nutzung durch andere Branchen und Dienstleistungen bis hin zum Wohnen würde dort für mehr Leben sorgen.
Welche Maßnahmen hat die Wirtschaftsförderung angestoßen, um Handel und Gastronomie zu stützen?
Dortmund hat eine lebendige Start-up-Szene und bietet ein gutes Milieu für junge Unternehmer*innen, die etwas wagen und eine Existenz gründen wollen. Wir haben Maßnahmen erarbeitet, um genau diese Gründungskultur auf vorhandene Flächen und neue Nutzungen zu übertragen. So ist unser Wettbewerb „Geschmackstalente“ nun bereits in die zweite Runde gegangen und unterstützt junge Gastronom*innen bei der Realisierung ihrer Geschäftsideen. Und das nicht nur finanziell, sondern auch mit Beratungsleistungen, bei denen sich alteingesessene Dortmunder Gastroprofis stark engagieren.
Lässt sich dieses Förderprinzip auch auf den Handel übertragen?
Nicht genauso, aber ganz ähnlich: Mit dem Wettbewerb „Anstoß 2022“ fördern wir Einzelhändler*innen, kleine Unternehmen, Handwerker*innen, Künstler*innen und Soloselbstständige, die einen Leerstand innerhalb des Dortmunder Wallrings beziehen möchten, um dort ihr Gewerbe anzusiedeln. Insgesamt möchten wir zehn Anmietungen mit jeweils bis zu 15.000 Euro unterstützen. Wir freuen uns auf viele kreative Ideen und über jedes eingereichte Konzept. Außerdem unterstützen wir Zwischennutzungen – insbesondere jene, die durch künstlerische Aktionen für Hingucker, Aufmerksamkeit, Überraschung und Einzigartigkeit sorgen, denn das steigert die Aufenthaltsqualität in der City.
Weitere Infos zum Wettbewerb "Geschmackstalente" unter: www.wirtschaftsfoerderung-dortmund.de/grundung/geschmackstalente
Weitere Infos zum Wettbewerb "Anstoß 2022" unter: www.wirtschaftsfoerderung-dortmund.de/anstoss-20222