Interview mit Kultur-Dezernent Jörg Stüdemann

Wie Urban Culture die City bereichern wird
© Stephan Schütze
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Lebendige Innenstädte brauchen mehr Kultur, heißt es oft. Gilt das auch für Dortmund? Kommt noch ein Konzerthaus?

In die Innenstädte gehören nicht allein die klassischen Theater oder Konzerthäuser, sondern auch die Urban Culture, also alltagsnahe Kulturformen. Darüber machen wir uns alle gerade sehr viele Gedanken. Junge Menschen etwa sind kulturbegeistert und erlebnisorientiert, aber nicht alle mit dem Opern-, Schauspiel- oder Konzerthaus sozialisiert worden. Deshalb müssen wir andere verbindende Momente und neue Formate suchen, um gute Angebote zu machen.

Wie weit ist Dortmund auf diesem Weg?

Das Fußballmuseum und das BORUSSEUM waren für das Thema Fußball ein guter Anfang. Auch die Ausstellung „The Art of Skate“ im „U“ oder der erfolgreiche „Schauraum comic + cartoon“ an der Katharinentreppe bedienen eine neue Richtung. Wir überlegen, ob wir das nicht etwas größer machen können. Das würde wunderbar in die Innenstadt passen: ein Ort mit großen Schaufenstern, der fußläufig gut erreichbar ist und mit Platz für Veranstaltungen. Ein vorbildliches Projekt gibt es übrigens in unserer Nachbarschaft mit URBANATIX. Eine Mischung aus Musik, Video, Tanz, Parkour, Biken und internationaler Artistik, nicht nur als Bühnenshow, sondern ganzjährig mit einem Trainingszentrum, das szene-, kultur- und kunstübergreifend junge Bewegungstalente coacht. 2024 wird es in Dortmund Urban Art und Urban Culture in Festivalform in der City geben. Mit Projektionen an Fassaden, Street-Art-, Graffiti- und Comicprojekten, Konzerten und Hip-Hop. Danach entscheiden wir, was als dauerhaftes oder wiederkehrendes Format bleibt.

Im Stadtgarten sieht man vermehrt Kleinkunst und Theater quasi im Vorbeigehen. Welche Strategie steckt dahinter?

Die Stadt vollzieht einen Wechsel der Kultur- und Nutzungsformen und erfährt eine andere Art von Lebendigkeit. Also mache ich mir Gedanken: Wo gehe ich aus den klassischen Häusern raus? Was mache ich Open-Air, in Parks und Gärten? Da experimentieren wir noch. Aber eines ist sicher: Die Partizipationsfreude der Leute und die digitale Erweiterung des Darstellungsspektrums sind Trends der Zeit. Der Wunsch, etwas draußen zu erleben und mitzumachen, hat deutlich zugenommen. Und seien wir ehrlich: Es ist schöner, man hat eine intelligent, lustig, unterhaltsam gestaltete Abend-Situation als nur die Hoffnung, den Abend mit einer Bierkiste und seinen besten Freunden zu verbringen. Deshalb hatten wir auch schon vor Jahren die erfolgreiche Idee mit den Summersounds-DJ-Picknicks in Dortmunder Parks – umsonst und draußen. Man muss sehen, dass die Stadt als öffentlich erfahrbarer Raum genutzt wird, dafür ist sie da, doch es sollte auch charmant und attraktiv sein.

Welche Rolle spielt Kunst im öffentlichen Raum für eine lebendige City?

Ich werbe dringend dafür, maßgebliche, hochkarätige Kunstwerke in der City aufzustellen. Dann macht es den Leuten auch Spaß, durch die Stadt zu schlendern. Sie wollen andere Perspektiven haben, sie wollen etwas sehen, worüber sie diskutieren können. Das gilt auch für Gäste aus anderen Städten und Ländern. Von unserem Ballettintendanten Xin Peng Wang kann man etwas lernen: Wenn du selbst souverän bist, lädst du Menschen ein, hier künstlerisch zu arbeiten. Es ist immer besser, man strahlt mit mehreren, dann wird man noch besser gesehen. Und genauso ist es mit der Kunst im öffentlichen Raum. Wir sollten nicht die Debatte führen: „Fördern wir nur die lokale regionale Kunstszene oder ‚verplempern‘ wir unser Geld im internationalen Maßstab?“, sondern beides machen. Klar ist: Wenn ich in eine Zukunft investieren will, dann muss ich natürlich auch Geld in die Hand nehmen. Manchmal wünschte man sich da als Kulturdezernent noch wesentlich mehr. Aber dann meldet sich plötzlich der Kämmerer in mir und schimpft ein bisschen.

Wo steht die Dortmunder Kultur im Vergleich insgesamt? Spielt Dortmund national und international oben mit? 

Wir haben einen sehr respektablen Platz in der nationalen Liga. Bester Indikator: Viele unserer Künstler*innen, Intendant*innen oder Regisseur*innen wurden an andere große, auch internationale Standorte geholt. Unser Konzerthaus gehört sogar zur Champions League europäischer Häuser. Das Ballett ist ebenfalls wunderbar positioniert in Deutschland. Die Theaterleute anderer Städte pilgern hierhin. Und es gibt noch mehr bundesweit herausragende Adressen in Dortmund: das Baukunstarchiv, die europaweit diskutierte „Akademie für Theater und Digitalität“ in demnächst neuen Räumlichkeiten, das „U“ als Zusammenspiel zwischen Wissenschaftsbetrieb und Kunsterlebnis. Und die erfolgreiche Vokalmusik-Szene – ob es die Chorakademie ist, die Akademie für Gesang NRW oder das Klangvokal-Musikfestival.

Die Corona-Pandemie war für die Kulturszene eine tiefe Krise. Was ist heute anders als davor?

So schwer die Zeit auch war – insgesamt hat sie doch den Mut hervorgebracht, Dinge zu verändern. Das ganz große Thema wird auch bleiben: die Digitalisierung, die Verlängerung des Programms in den digitalen Raum. Die Pandemie hat da einen wirklichen Quantensprung ausgelöst. Der zweite Punkt ist das Herausgehen aus der Einrichtung. Gerade in der Phase der härtesten Isolation hat es vor Senioren- und Pflegeeinrichtungen Konzerte gegeben, die Opernterrasse wurde bespielt. Der dritte Aspekt: Die Solidarität unter Kulturleuten ist enorm gewachsen, sie sind viel stärker zusammengerückt – auch mit uns in der Verwaltung.

Viele Kultureinrichtungen verstehen sich zunehmend als sogenannte „dritte Orte“, an denen Menschen einander begegnen können. Braucht Dortmunds City auch einen dritten Ort?

Mit der Zentralbibliothek haben wir schon lange einen erfolgreichen „dritten Ort“ in der City, den müssen wir gar nicht erfinden. Hier halten sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene den ganzen Tag über auf – jährlich kommen circa 800.000 Besucher*innen. Auch das Opernhaus nutzt seine großen Flächen entsprechend. Auf dem Vorplatz fand 2022 erstmals der Feierabendmarkt statt, und es gibt noch weitere Pläne. Am Schauspielhaus ist ein Garten als Aufenthaltszone entstanden. Aktuell gibt es den Plan, das Ensemble zur Dortmunder Stadtgeschichte im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte zu erweitern, da es bislang um 1955 endet. Bei dieser Umstrukturierung werden auch ganz neue und völlig andere Aufenthaltsbereiche entstehen.

Wenn Sie einen Traum umsetzen könnten, ohne Sorge um Budgets und Mehrheiten – was würden Sie persönlich in der Dortmunder City verändern?

Ich würde noch mindestens fünf bis zehn große oder mittelgroße Gebäude erstellen, die eine ganz tolle Architektur haben, die Energie- und Klimafaktoren technologisch raffiniert stemmen. Die Funktion der Gebäude ist ganz egal. So etwas hält über Jahrzehnte und lockt die Menschen an.

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